Pirmasens ist 1771 eine blühende Garnisonsstadt und auf dem Exerzierplatz marschieren die Grenadiere. Landgraf Ludwig IX ist nicht nur um das Wohl seiner Soldaten bemüht, er sieht auch die Notwendigkeit, für die Kinder und Grenadierkinder, deren Zahl ständig wächst, Schulen zu errichten.
Neben der Errichtung einer Garnisonsschule ordnet Ludwig IX mit Urkunde vom 14. September 1771( vgl. Meinel, 1936, S. 5 ff) die Errichtung einer landgräflichen Lateinschule an, worauf der Landgraf selbst sehr stolz ist. In der Urkunde zum Schulhausbau vermerkt er: „Dies ist ein guthes werck und da Pirmasens zur graffschafft gehöret also ist es recht sehr billig. Ludwig Landgraff zu Hessen“ (Meinel, 1936, S.5) Im direkten Anschluss an die Garnisonskirche (heute ist dies die Lutherkirche) wird eigens ein neues Schulhaus erbaut, in dem neben der Lateinschule auch die Garnisonsschule untergebracht wird, eine Volksschule, die von den Kindern der Soldaten besucht wird. Schulen kosteten auch damals Geld, die Kosten für Bau und Unterhaltung der Lateinschule erlegt der Landgraf per Dekret „sämmtlichen Kirchschaffneyen Unserer Graffschaft Hanau Lichtenberg“ (Meinel, 1936, S. 5)auf, die den Schulbau zu finanzieren und halbjährlich ihren Schulbeitrag nach Pirmasens zu entrichten haben. Lehrer für die landgräfliche Lateinschule zu gewinnen, scheint, abhängig vom versprochenen Gehalt, einfach: „Der als Frantzösischer Sprachmeister zu Leipzig gestandene David Montoux wird zum gleichmäßigen Frantzösischen und Ital. Sprachmeister an der lateinischen Schule angenommen, mit einem Gehalt von 30 fl., 2 Malter Korn aus der Kirchschaffney, drey Klafter Holz und freye Wohnung.“ (Meinel, 1936, S. 9)
1790 stirbt Ludwig IX, mit seinem Tod beginnt der Niedergang der blühenden Garnisonsstadt. Die Garnison wird verlegt, Beamte und Offiziere verlassen Pirmasens. 1793 flüchten mit dem Anrücken der Franzosen und dem Beginn der französischen Besatzung weitere Familien. Von den einst 9000 Einwohnern im Jahre 1790 leben 1793 noch 3000 Menschen in Pirmasens (vgl. Lehnung, 1979, S. 238). Somit hat die Lateinschule den größten Teil ihrer Schüler und Lehrer verloren. In der Festschrift von 1836 schreibt der damalige Schulleiter Rudolf Meinel: „Man kann vermuten, dass die Stadt die leeren Lateinklassen mit Volksschülern auffüllte und daran ging, die Lateinschule in eine Volksschule zurückzuverwandeln. Dieser Abbau einer privilegierten Schule und Umwandlung in eine Bürgerschule lag auch im Sinn der vordringenden Ideen der Französischen Revolution“ (Meinel, 1936, S. 11). Abschließend und etwas wehmütig fügt Meinel hinzu:“ Es liegt über der Landgrafenschule ein Schimmer von Jugendanmut und Melancholie, wie über einer Blüte, die zu früh herauskam und die ein Wintersturm zerstört“ (Meinel, 1936, S. 11).
Gründung der unvollständigen Lateinschule (18.01.1836)
Es dauert lange, bis sich Pirmasens etwas erholt, aber es wird sich erholen. Zwar schreibt Friedrich Blaul noch 1838: „Pirmasens ist eine öde Stadt, mit allen Zeichen des Todes auf der Stirne. Sie hat sich nicht selbst gebildet, der Willen eines Fürsten hat sie in diese arme Gegend hineingesetzt und mit ihm ist sie untergegangen“ (Stadt Pirmasens, 1963, S. 54). Es stimmt schon, dass Not und Elend zu Beginn des 19. Jahrhunderts weiterhin das Stadtbild prägen, das mit wenig befestigten Wegen und Misthaufen vor den Häusern eher dörflich anmutet. Seit 1816 steht Pirmasens unter bayerischer Oberhoheit, zunächst stagniert alles. 1830 hat Pirmasens knapp 5000 Einwohner. Das Hambacher Fest sorgt auch in den Straßen von Pirmasens für Unruhen ( vgl. Lehnung, 1979, S. 198 ff). Aber vor allem die 30er-Jahre sind auch eine Zeit des beginnenden Aufschwungs, in der z. B. die ersten Eisenbahnlinien gebaut werden, auch wenn diese zunächst nicht nach Pirmasens führen. Langsam kommt der Straßenbau in Gang, 1831 führt eine Straße von Zweibrücken nach Landau, was sich sehr positiv für Pirmasens auswirkt (vgl. Stadt Pirmasens, 1963, S. 54 ff). Die Pirmasenser setzen kreativ um, was sie schon in der Garnisonszeit gelernt haben: Die Schuhmacherei. Seit 1790 entwickelt sich zunehmend das Schuhmachergewerbe in Pirmasens, neue Betriebe entstehen in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Peter Kaiser etwa gründet 1838 seinen Schuhherstellungsbetrieb, der zur ältesten deutschen Schuhfabrik wird. In diese Zeit fällt die eigentliche Gründung unserer Schule.
Die Initiative dazu geht von der bayerischen Regierung aus, die in allen Orten mit mehr als 3000 Einwohnern Lateinschulen gründen lässt (vgl. Meinel, 1936, S.12 ff). Dies betrifft neben Pirmasens in der näheren Umgebung auch Bergzabern, Kusel, Blieskastel, Kirchheimbolanden und Annweiler.
Das Bürgermeisteramt Pirmasens befürwortet grundsätzlich die Gründung einer Lateinschule, weist aber auf die großen Probleme in Pirmasens hin:
1829 schreibt das Bürgermeisteramt Pirmasens an das Landkommissariat, „daß es sehr nützlich und für die Gemeinde Pirmasens bei der sich vermehrenden Bevölkerung vorteilhaft wäre, wenn eine Lateinschule allda eingeführt würde; insonderheit aber der Stadtrat müsse bedauern, daß beim dermaligen geringen Finanzzustand der Gemeindekasse, wo bisher jedes Jahr die Einnahmen sich vermindert und die Ausgaben sich bedeutend vermehrt hätten, auf die Gemeindekasse nichts mehr übernommen werden könne (...) in dem Gemeindehaus Bechtoldsbau wolle man sehr gerne Lehrsäle hergeben und dazu herstellen lassen; der Lehrergehalt aber könne auf die Gemeindekasse nicht übernommen werden“ (Rudolf Meinel, 1936, S. 12).
In Fragen der Bau- und Unterhaltungskosten der neu zu gründenden Schule gehen die Verhandlungen zwischen Bayerischer Regierung, Landkommissariat und Bürgermeisteramt Pirmasens lange hin und her. Über einige Jahre gibt es in der Schulfrage kein richtiges Vorwärtskommen, dann wird erneut diskutiert. Der Stadtrat Pirmasens bietet im Herbst 1835 an, 150 fl. aus der Gemeindekasse beizusteuern und die Heizung der Schulräume zu übernehmen. Die Wohnung für den Lehrer aber wird abgelehnt mit dem Hinweis: „Zu Pirmasens kann um die Hälfte wohlfeiler als in jeder anderen Stadt des Kreises gelebt werden“ (Meinel, 1936, S. 13). Am 08. Dezember 1835 endlich wird von der Königlich Bayerischen Regierung die Gründung einer unvollständigen lateinischen Schule genehmigt, wonach die Schule aus dem Beitrag des städtischen Fonds, durch das Klassengeld bzw. Schulgeld und durch einen Beitrag des Kreisfonds finanziert werden wird. Schon am 18. Januar 1836 wird der Unterricht im „Bechtoldsbau“, heutige Alleestraße 13, aufgenommen. Die Schule eröffnet mit 2 Klassen, eine untere Klasse mit 12 Schülern und eine obere Klasse mit 23 Schülern (vgl. Meinel, 1936, S. 14 ff). Zwei Lehrer unterrichten, Franz Weiß, Klassen- und Zeichnungslehrer und späterer Subrektor, sowie Peter Serr, Gesangs- und Schreiblehrer. Im zweiten Jahr kommen eine dritte Klasse und ein dritter Lehrer hinzu, ab dem dritten Schuljahr 1838/39 bis 1874 wird die Schule (mit weiterhin drei Lehrern) vierklassig (und somit als unvollständige Lateinschule) geführt.
Nach der Schulordnung von 1830 ist der Lehrplan der Lateinschulen für die erste und zweite Klasse folgender: Sehr viel Lateinunterricht, 12 Stunden pro Woche, je 2 Stunden Deutsch, Religion, Arithmetik, Geographie und Kalligraphie; in der 3. und 4. Klasse 10 Stunden Latein, 5 Griechisch, 2 Religion, 2 Deutsch, 2 Geschichte und Geographie, 2 Arithmetik. Dazu sind ab 1837 zwei Mal pro Woche Leibesübungen und Körperpflege vorgeschrieben. Angemessene Lokale mit entsprechender Ausstattung an „Turnapparaten“ werden von der Stadt Pirmasens erstellt. Für die pfälzischen Lateinschulen gilt eine Sonderregelung: Hier wird schon ab der 1. Klasse neben Latein zusätzlich Französisch unterrichtet, dies lässt an unser modernes Latein Plus-Programm denken, wo in der 5. Klasse neben 5 Stunden Latein gleich zu Beginn auch 2 Stunden Englisch unterrichtet werden.
Schon 1837/38 wird eine Realklasse an der Lateinschule eingerichtet und praktisch eine weitere Schulform geschaffen, ein Beispiel für frühe Differenzierung in einem Haus. Schüler des Realkurses erhalten einen stärker naturgeschichtlich-mathematisch orientierten Unterricht und sind vom Griechischunterricht befreit. Die Bayerische Regierung ist mit der schulischen Entwicklung in Pirmasens zufrieden, wie man einem Schreiben von 1839 entnehmen kann: „Man hat aus dem Bericht des Subrektorats mit Wohlgefallen entnommen, daß dasselbe (...) einen durchaus befriedigenden Zustand der lateinischen Schule zu Pirmasens herbeigeführt hat, welches um so verdienstlicher ist, als die Schwierigkeit der Aufgabe, siebenzig lateinische Schüler nach ihren individuellen Vorkenntnissen gehörig zu unterrichten nicht zu verkennen ist und die freiwillige, aber zugleich ganz sachgemäße Verbindung eines Realkurses mit der lateinischen Schule von einer unermüdeten Tätigkeit und dem eifrigen Streben zeugt, den Wünschen und Anforderungen Seiner Majestät des Königs in Beförderung einer für alle Lebensverhältnisse passenden und zureichenden intellektuellen und moralischen Bildung des heranwachsenden Geschlechtes entgegenzukommen“ (Meinel, 1936, S. 15).
Auch kritisch werden die höheren Schulen in dieser Zeit gesehen. Zwei Vorwürfe kämen nach Meinel immer wieder zum Tragen: Die höhere Schule „mache die jungen Leute kurzsichtig und sie überbürde sie“ (Meinel, 1936, S. 15). Das bayerische Ministerium reagiert zum Beispiel auf den Überbürdungsvorwurf sehr schülerfreundlich mit Anweisungen an die Lehrer: Es sei „zwar der allerhöchste Wille, dass die Jugend zum Fleiße angehalten, nicht aber zum beständigen Sitzen verurteilt werde, dadurch an ihrer Gesundheit Schaden nehme und an Geist und Körper alt werde, bevor sie noch jung gewesen“ (Meinel, 1936, S. 17). Schulische Bildung soll damals schon „Freude und Begeisterung für geistige und wissenschaftliche Beschäftigung“ (Meinel, 1936, S. 22) wecken, allerdings sollen „leerer Mechanismus und Formalismus und vornehmlich alles geistlose Memorieren“ (Meinel, 1936, S. 22) vermieden werden. Dem kann man auch heute noch zustimmen. Soweit zu den Anfängen des bayerischen höheren Schulwesens in Pirmasens.
Vollständige Lateinschule (1874)
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nimmt die Aufwärtsentwicklung von Pirmasens weiter ihren Lauf (vgl. Lehnung, 1983, S. 87 ff). Mit der Fertigstellung der Eisenbahnlinie Zweibrücken – Landau ist auch Pirmasens in das Eisenbahnnetz integriert. Pirmasens erblüht zur Industriestadt. Durch die Schulreform von 1874 wird die Lateinschule vollständig, indem die 5. Klassenstufe eingerichtet wird. Vollanstalten, also Gymnasien, bieten nach den Klassenstufen 1 bis 5 4 weitere Gymnasialklassen an, die zum Zugang an die Hochschule berechtigen. Diese 4 Gymnasialklassen müssen die Pirmasenser Schüler zu dieser Zeit in einer anderen Stadt absolvieren. Die höhere Schulbildung mit Zugangsberechtigung zur Universität umfasst somit schon damals 9 Jahre.
1886 feiert die Lateinschule ihr 50jähriges Bestehen unter großer Anteilnahme der Bevölkerung „Wohl die ganze Stadt feierte das Fest mit; denn alle bekannteren städtischen Familien hatten ihre Söhne in der Lateinschule gehabt oder hatten sie noch“ (Meinel, 1936, S. 28).
Mit dem Aufschwung der achtziger Jahre steigen auch die Schülerzahlen, der Bechtoldsbau wird zu klein, um die starken unteren Klassen aufzunehmen. Wie es nun mal Aufgabe eines Schulleiters ist, bemüht sich der damalige Subrektor Schmid um neue bauliche Gegebenheiten für sein Schulhaus: „Subrektor Schmid hat beständig Wünsche bezüglich des viel zu kleinen Bechtoldbaus, der wie ein Gewand einem rasch wachsenden Jungen längst zu knapp war. Auch sonstige Beschwerden ergaben sich in diesen Schulräumen. Es war im Haus nur ein Saal, der 30 Schüler fasste; von 76 an aber waren jährlich zwei, wenn nicht drei Klassen über 30 Schüler stark. Außerdem waren die Schulzimmer nur 2,56 Meter hoch, sodaß man wegen der drückenden Luft auch im Winter nur bei geöffnetem Fenster unterrichten konnte“ (Meinel, 1936, S. 29). Darüber hinaus wird festgestellt, dass sich „das Schulgebäude nach außen wie nach innen in einem überaus verwahrlosten Zustand befinde, der einer Lateinschule neuerer Organisation nicht entspricht“ (Meinel, 1936, S. 29). Der Stadtrat von Pirmasens steht nun vor der Frage, ob ein anderes Gebäude bereitgestellt werden kann oder ob besser ein Neubau errichtet wird.
„Nun entschloß sich die Stadtverwaltung zu einer großzügigen und endgültigen Lösung. Das stetige Anwachsen der Bevölkerung, die Blüte von Handel und Industrie ließen auch für eine zweite höhere Schule genügenden Zulauf erwarten und als solche war schon seit einigen Jahren eine Realschule angestrebt. So beantragte die Stadt die Gründung einer Realschule bei der Regierung und erbot sich, für beide Schulen ein gemeinsames Schulhaus zu errichten“ (Meinel, 1936, S. 29). Die Realschule wird 1888 gegründet und der Bau des neuen gemeinsamen Schulhauses wird 1890 begonnen. In der Luisenstraße, dort, wo unser geschätztes Nachbargymnasium, das heutige Leibniz-Gymnasium seinen Standort hat, entsteht das neue im Renaissance-Stil erbaute Schulhaus, das 1892 fertiggestellt wird. Für 18 Jahre unterrichten Lateinschule und Realschule unter einem Dach, die Lateinschule im Westflügel, die Realschule im Ostflügel. Die Gründung der Realschule führt bei der Lateinschule zunächst zu zurückgehenden Schülerzahlen, zumal die Realschule 1893 die 6. Klassenstufe erhält und somit die Berechtigung, das „Einjährige“, ein Abschluss, der mit der Mittleren Reife vergleichbar ist, zu vergeben.
Progymnasium (1894)
Wer bislang nach der Lateinschule das „Einjährigenzeugnis“ wollte, musste noch ein Jahr nach Zweibrücken oder Kaiserslautern fahren, um dort das Gymnasium zu besuchen. Als das Ministerium 1892 beabsichtigt, „nicht lebensfähige“ (Meinel, 1936, S. 31)Lateinschulen in Abstimmung mit den Stadtverwaltungen aufzulösen, bekennt sich der Stadtrat Pirmasens zu seiner Lateinschule und unterstützt 1894 den Antrag der Lateinschule, Progymnasium zu werden und auch die 6. Klassenstufe anzufügen: „(...) er (der Stadtrat) glaubt sich der sicheren Hoffnung hingeben zu dürfen, dass unsere Stadt, die vermöge ihrer Industrie und ihres Gewerbefleißes aus den kleinsten, ärmlichsten Verhältnissen sich zu einer achtunggebietenden Höhe emporgeschwungen und es dahin gebracht hat, dass sie auf dem Weltmarkt eine rühmliche Stellung einnimmt, in erster Linie zu den Städten gehöre, deren Lateinschule darauf rechnen kann, zu einem Progymnasium erhoben zu werden. Gern erklärt sie sich bereit, den gesamten erforderlichen Mehraufwand auf die Stadtkasse zu übernehmen“ (Meinel, 1936, S. 32). Diese Aussage ließ mit Sicherheit das Herz des Schulleiters höher schlagen.
Vollgymnasium (1909)
Der Weg vom Progymnasium zum Vollgymnasium gestaltet sich schwierig.
Die Erhebung zum Progymnasium führt zu wieder steigenden Schülerzahlen an der Lateinschule, die sich bis 1903 sogar mehr als verdoppeln. In der Bürgerschaft und in der Stadtverwaltung tritt der Wunsch auf, das Progymnasium zu einem Vollgymnasium auszubauen (vgl. Meinel, 1936, S. 34 ff), damit die Schüler nach dem „Einjährigen“ nicht noch drei Jahre nach Zweibrücken oder Kaiserslautern fahren müssen, um an einem Vollgymnasium ihr Abitur abzulegen, wie es auch Hugo Ball ergeht, Schüler unserer Schule von 1895 bis 1901 (vgl. Stadtverwaltung Pirmasens, 1978, S. 43). 1903 richtet die Stadtverwaltung eine erste entsprechende Eingabe an den Landtag. Diese wird abgelehnt. Bürgermeister Strobel bleibt hartnäckig und richtet 1905 eine zweite Eingabe an die Kammer der Reichsräte und Abgeordneten. „Es wird darin auf die hohen Kosten hingewiesen, die den Eltern erwachsen, wenn sie ihre Söhne von der 7. – 9. Klasse nach auswärts schicken müssen. Eine Stadt mit 36 000 Einwohnern habe ein Vollgymnasium nötig.“ (Meinel, 1936, S. 36) Auch die zweite Eingabe führt nicht zum Erfolg. 1907 stellt Bürgermeister Strobel kämpferisch den Antrag an den Stadtrat, den Ausbau des Vollgymnasiums auf städtische Kosten zu übernehmen, wenn die Errichtung des Vollgymnasiums auf Staatskosten nicht möglich sei. Der Stadtrat bzw. darin vor allem die sozialdemokratische Fraktion stimmt dagegen. Es formiert sich eine Elternbewegung, die schließlich 1909 den Erfolg bringt: Die Schülereltern bieten wiederum in einer Eingabe dem Stadtrat Pirmasens an, einen großen Anteil der Kosten des Umbaus zu übernehmen und alljährlich ein beträchtliches Schulgeld zu zahlen. In einer emotionsgeladenen Sitzung stimmt der Stadtrat 1909 mit knapper Mehrheit für die Kostenübernahme des Ausbaus zum Vollgymnasium, lehnt das Angebot der Kostenübernahme der Eltern ab, stimmt aber der Erhebung des relativ hohen Schulgeldes von 440 Mark jährlich für die Schüler der 7., 8. und 9. Klasse des zukünftigen Vollgymnasiums zu. 1909 genehmigt das Ministerium die Errichtung eines humanistischen Gymnasiums in Pirmasens, das sich einfach „Gymnasium“ nennt, und das aufwachsend im Schuljahr 1909/10 mit der Hinzunahme der 7. Klassenstufe beginnt. Die 18 Absolventen von 1912 sind somit die ersten Abiturienten, die in Pirmasens ihr Abitur ablegen, dies vor gerade mal knapp 100 Jahren.
Nachdem der Neubau in der Luisenstraße für zwei Schulen mit steigenden Schülerzahlen längst zu eng geworden ist, belegt die Realschule diesen Bau allein und unsere Schule bezieht 1910 den Südflügel des Exerzierplatzschulhauses, in dessen Nordflügel eine Volksschule untergebracht ist. Dort wird unsere Schule 52 Jahre untergebracht sein.
Gymnasium im ersten und zweiten Weltkrieg
Die Aufwärtsentwicklung von Pirmasens wird durch den ersten Weltkrieg jäh unterbrochen. Lehrer, viele Schüler der oberen Klassen und fast alle Abiturienten seit 1912 treten in den Krieg. Im Jahr 1917/18 stehen alle Schüler der 9. Klasse unter den Waffen (vgl. Meinel, 1936, S. 43 ff). Die Schüler der mittleren und unteren Klassen verteilen Brot- und Fleischkarten, sammeln Papier, Bücher und Weißblech, veranstalten eine Obst- und Gemüsesammlung für die Verwundeten. Vier Lehrer und 29 Schüler verlieren ihr Leben im ersten Weltkrieg.
Schwere Zeiten erlebt Pirmasens auch in der Nachkriegszeit (vgl. Stumpf, 1992, S. 35 ff) mit der Besetzung durch die französische Militärregierung, der Separatistenherrschaft, der wirtschaftlichen Depression und der Massenarbeitslosigkeit. Von 40 000 Einwohnern sind 1925/26 in Pirmasens 14 000 Einwohner arbeitslos. Hunger, Elend und Hoffnungslosigkeit sind auch in unserer Stadt der Nährboden für die stark aufkommende nationalsozialistische Bewegung mit ihren verheißungsvollen Losungen. Auch unsere Schule setzt zunächst Hoffnung in diese Bewegung, wenn der damalige Schulleiter Meinel 1936 schreibt: „Es ist dem Gymnasium Pirmasens immer ein Stolz gewesen, dass die Schüler unserer Anstalt sich gerade in den obersten Leitungen der nationalen Verbände bewährt haben. So war im Schuljahr 1934/35 der oberste Leiter der HJ in Pirmasens ein Schüler der 9. Klasse, 1935/36 der oberste Leiter des DJ in Pirmasens-Land ein Schüler der 9. Klasse, die oberste Führerin der Jungmädelschaft hier ist eine Schülerin der 7. Klasse. 94 Prozent unserer Schule gehören den nationalen Verbänden an und wir haben am 3. Juli im Beisein des Kreisleiters und des obersten örtlichen Führers der HJ und DJ die Hitlerjugendfahne aufgezogen.“ (Meinel, 1936, S. 46)
Schon vor dem zweiten Weltkrieg kommt es zu Störungen des Schulbetriebes. Soldaten und Offiziere werden rekrutiert, im Frühjahr 1937 wird daher nicht nur die 9., sondern auch die 8. Klasse mit dem Abiturzeugnis entlassen (vgl. Breith, 1962, in: Mewes, 1962, S. 18 ff). Bis 1946 werden die Abiturienten weiterhin schon nach der 8. Klasse ihr Abitur ablegen und entlassen werden. Der Westwallbau belastet die Stadt, Teile des Schulhauses werden von der Wehrmacht belegt, ein geregeltes Unterrichten ist kaum noch möglich.
Mit Beginn des zweiten Weltkrieges im September 1939 wird Pirmasens zur Frontstadt, die von der Zivilbevölkerung schon bis zum 03. September geräumt werden muss. Der Beginn der Evakuierung von Pirmasens fällt in die Ferienzeit der Schule. Die Schüler und ihre Familien werden zum großen Teil in Franken und im Stuttgarter Gebiet untergebracht, die Schule weiß nicht, wo sich ihre Schüler befinden. Die Schüler der Oberklasse legen im Frühjahr 1940 fern von Pirmasens an den unterschiedlichsten Schulen ihre Abiturprüfung ab. Nach dem Frankreichfeldzug im späten Frühjahr 1940 ist Pirmasens keine Frontstadt mehr, sodass die Einwohner aus der Evakuierung zurückkommen. Im September 1940 kann der Unterricht wieder aufgenommen werden.
Doch von geregeltem Unterricht kann während der Kriegsjahre keine Rede sein. Die Versorgungssituation der Bevölkerung wird immer schwieriger, Hunger ist ein ständiger Begleiter auch unserer Schüler. Luftangriffe nehmen ab 1942 zu, in Schutzräumen wird provisorisch weiter unterrichtet. Viele Lehrer und Schüler müssen in den Krieg ziehen, immer jüngere Schüler werden eingezogen, 1943 etwa die Schüler der 5. und 6. Klassen als Flakhelfer, sie sind 15 und 16 Jahre alt. Zwei Lehrer unseres Gymnasiums fahren „jeden Donnerstag und Freitag nach Völklingen, um dort den Schülern der Pirmasenser und Zweibrücker Gymnasien notdürftigen Unterricht neben den Flakgeschützen zu erteilen“ (Breith, 1962, in: Mewes, 1962, S. 18).
Nach der Landung der Alliierten in der Normandie nähert sich die Front langsam Pirmasens. Bei einem schweren Luftangriff am 09. August 1944 wird das Schulgebäude von vielen Brandbomben getroffen. Die benachbarte Volksschule brennt völlig aus. In unserem Gymnasium werden das Dachgeschoß mit der Hausmeisterwohnung, dem Physiksaal und den großen naturwissenschaftlichen Sammlungen zerstört (vgl. Breith, 1962, in: Mewes, 1962, S. 18ff). Dass die unteren beiden Stockwerke gerettet werden können, ist dem Mut und dem beherzten Eingreifen dreier Personen zu verdanken, die mit allen Leibeskräften versuchen, das Übergreifen des Feuers auf die unteren Stockwerke zu verhindern: Dem Hausmeister der Schule, Herrn Schmidt, einem Lehrer, Herrn Studienprofessor Dr. Egersdörfer, und einem Schüler der benachbarten Oberrealschule, dessen Name mir leider nicht bekannt ist. Dr. Egersdörfer und der Schüler der Oberrealschule werden dabei schwer verletzt. Das Schulgebäude ist nicht mehr benutzbar. Die Schüler der Klassen 1 bis 4, die nicht an der Front sind oder als Flakhelfer dienen, weil sie zu jung sind, finden dankenswerter Weise Unterschlupf in der Oberrealschule in der Luisenstraße.
Als die Front im Winter 1944/45 Pirmasens sehr nahe kommt, suchen der Schulleiter und die Lehrer für die wenigen verbliebenen Schüler jenseits des Rheins nach Möglichkeiten, die Schule wiederaufzunehmen. Dazu kommt es nicht mehr, denn am 15. März 1945 erfolgt ein vernichtender Großangriff, der Pirmasens in weiten Teilen in Schutt und Asche legt. Auch das Gebäude der Oberrealschule fällt diesem Angriff zum Opfer. Ende März 1945 rücken die Amerikaner in unsere Stadt ein, im Juli werden sie von der französischen Militärregierung abgelöst. Nach dem Bombenangriff vom März ist jeglicher Unterricht unmöglich.
Nach dem zweiten Weltkrieg
Studienrat Dr. Ludwig Fauth von der Oberrealschule, Oberstudiendirektor der Oberrealschule ab 1946, wird im Juni 1945 von der amerikanischen Militärregierung zum kommissarischen Leiter der Höheren Schulen in Pirmasens ernannt und mit dem Wiederaufbau des Höheren Schulwesens beauftragt.
Die französische Militärregierung ordnet an, dass der Unterricht in allen Schulen der Pfalz am 01. Oktober 1945 wieder aufgenommen werden muss (vgl. Meinel, 1947, S. 12 ff). Nachdem auch das Schulgebäude der Mädchenoberrealschule beim Luftangriff 1944 schwer getroffen worden war, gibt es nun für keine der drei höheren Schulen von Pirmasens eine Bleibe. Die leerstehende Siemensfabrik (heute Schuhfabrik Peter Kaiser) in der Lemberger Straße scheint eine erste Lösung zu sein. Aber auch hier muss erst ein Provisorium aufgebaut werden. Die Schülerinnen und Schüler unserer drei höheren Schulen arbeiten wochenlang Hand in Hand in einer fortlaufenden Kette, um Ziegelsteine der Schutzräume des Krankenhauses über die Lemberger Straße zur Siemensfabrik zu schaffen. Doch der Ausbau geht zu langsam voran, mit dem Winter entschließt man sich, mit den drei höheren Schulen in das notdürftig hergerichtete Gebäude unseres Gymnasiums am Exerzierplatz einzuziehen.
Drei Schulen in einem Haus, wie geht das?
Die Sechs-Tage-Woche wird durch drei geteilt, Montag und Donnerstag haben die Schüler des Gymnasiums ihren Unterricht, Dienstag und Freitag die Schüler der Oberrealschule, Mittwoch und Samstag die Schülerinnen der Mädchenoberrealschule. Die wenigen Lehrer unterrichten in allen drei höheren Schulen. Bis zu 70 Schüler arbeiten teilweise in einem Unterrichtsraum. Da nach wie vor das Dach der Schule fehlt, fällt bei Regenwetter der Unterricht aus. Zu Beginn des Schuljahres 1945/46 werden die Schüler der Pfälzer Schulen nicht versetzt, sie besuchen alle dieselben Klassen, die sie im Vorjahr besucht haben. Für die zurückgekehrten Kriegsteilnehmer wird ein Sonderkurs abgehalten, der im April 1946 mit der Abiturprüfung endet.
Die Schuhfachschule in der Lemberger Straße bietet, nachdem die französischen Militärs sie geräumt haben, ab Herbst 1946 eine geeignetere Unterkunft für die Oberrealschule und für die Mädchenoberrealschule und unsere Schülerinnen und Schüler haben das Exerzierplatzgebäude, das bis Mitte 1947 in etwa wieder hergestellt ist, wieder für sich, bis auf einige Räume, die unsere zwischenzeitlich im Nordflügel eingezogene Stadtverwaltung für sich beansprucht.
„Altsprachliches Gymnasium“ (1950)
Nach einer organisatorischen Reform der Landesregierung von Rheinland-Pfalz im Jahre 1950 bleibt unsere Schule weiter ein altsprachliches Gymnasium und sein Name lautet nun „Staatliches altsprachliches Gymnasium“.
Räumliche Enge im schulischen Betrieb (vgl. Traut, 1962, in: Mewes, 1962, S. 11 ff) und das Bedürfnis der Stadtverwaltung, die über die ganze Stadt verstreuten Ämter an einer Stelle, nämlich im Exerzierplatzgebäude, zu konzentrieren, werfen die Frage auf, ob für das altsprachliche Gymnasium eine neue Bleibe gefunden werden kann. Erste Überlegungen gehen dahin, einen Neubau im Anschluss an den Seitenflügel des Mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums an der Dankelsbachstraße zu erstellen. Er wird verworfen, weil das Raumangebot für beide Schulen nicht ausreicht. Mit dem städtischen Ankauf des Fahrschen Waldes keimt die Idee, dort das neue altsprachliche Gymnasium zu erstellen. Diese Idee ist allerdings auch wieder schnell vom Tisch. Ab 1959 kauft die Stadt Gelände rund um die Horebschule als künftigen Standort für das altsprachliche Gymnasium und gleichzeitig zur Erweiterung des Geländes der Horebschule.
Neubau in der Wörthstraße (1962)
Im März 1960 beschließt der Stadtrat den Bau des altsprachlichen Gymnasiums in der Wörthstraße. 2,4 Millionen DM sind veranschlagt (vgl. Traut, 1962, in: Mewes, 1962, S. 14 ff). Architekt Robert Schneider wird mit der Planung und Durchführung beauftragt. Unglaublich schnell, schon im Januar 1962, kann Richtfest gefeiert werden. Nach 52 Jahren am Exerzierplatz zieht unsere Schule im Oktober 1962 mit 223 Schülerinnen und Schülern und 20 Lehrerinnen und Lehrern auf den Horeb in die Wörthstraße, und dies im gerade abgelaufenen 125. Jahr ihres Bestehens. Fast 50 Jahre sind wir nun heute in unserem Schulgebäude.
Als Ende der 50er-Jahre unsere Schule geplant wird, ist man überzeugt, für die Zukunft gebaut zu haben. Hatte unsere Schule bis in die 50er-Jahre selten mehr als 200 Schülerinnen und Schüler, sollte eine für 300 Schülerinnen und Schüler konzipierte Schule ausreichen. Doch bereits in den 60er-Jahren schnellen die Schülerzahlen hoch, die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit drängen in die weiterführenden Schulen. 1967 hat die Schule 480 Schülerinnen und Schüler. Die Raumnot wird extrem. 1972 erreicht die Schulleitung die Genehmigung eines Erweiterungsbaus, der in seinem ersten Bauabschnitt 1974 fertiggestellt wird und zunächst der Horebschule zur Verfügung steht. Mit der Einführung der MSS 1975 kommt der Erweiterungsbau zu unserer Schule, der zweite Bauabschnitt mit den neuen naturwissenschaftlichen Fachsälen wird 1980 fertiggestellt, nachdem zwischenzeitlich bis 1979 die Schülerzahlen bis auf 579 gestiegen sind.
„Immanuel-Kant-Gymnasium“ (1976)
Einen markanten Punkt in der Geschichte des rheinland-pfälzischen Gymnasiums bildet die Einführung der Mainzer Studienstufe im Schuljahr 1975/76. Mit der Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler ihre Unterrichtsschwerpunkte selbst wählen können, scheinen die bisherigen Schulprofile (mathematisch-naturwissenschaftlich, neusprachlich und altsprachlich) nicht mehr aussagekräftig, den Gymnasien wird vom Kultusministerium empfohlen, sich einen Namen zu geben.
Schülerschaft, Lehrerkollegium und Elternbeirat befassen sich mit Vorschlägen.
Gesucht wird eine Person von „unbestrittener geistesgeschichtlicher Bedeutung“ (Scheuer, 1977, in: Documenta 1972 – 1976). Der Vorschlag „Immanuel Kant“ findet in allen schulischen Gremien Zustimmung und wird im Februar 1976 vom Stadtrat beschlossen. Mit Urkunde vom 01. August 1976, zum 140. Geburtstag, verleiht Oberbürgermeister Karl Rheinwalt unserer Schule feierlich den Namen „Staatliches Immanuel-Kant-Gymnasium Pirmasens“.
Zum 150jährigen Jubiläum im Schuljahr 1985/86 präsentiert sich unsere Schule neu erweitert, mit gutem Raum- und Fachsaalangebot und 536 Schülerinnen und Schülern, deren Zahlen mit dem beginnenden sogenannten Pillenknick wieder langsam zurückgehen.
In den 80er und 90er-Jahren findet das musisch-ästhetische Profil unserer Schule mit Theater, Tanztheater, Kunstausstellungen und vielen Musikangeboten neue Ausprägungen, die bis heute tragend für das Schulprofil sind. Die Projektarbeit hält Einzug in die Schule. Ein Informatiklabor wird eingerichtet und ab 1989 wird Informatik als Unterrichtsfach für die Oberstufe angeboten. Baulich wird weiter investiert, Dacherneuerungen werden vorgenommen, Verwaltungstrakt, Lehrerzimmer, Bibliothek , Zeichen- und Musiksaal werden renoviert. Mit dem Lycée de Bouxwiller entsteht ab 1996 eine Schulpartnerschaft, die bis heute intensiv gelebt wird.
Renovierung (2005 – 2011)
Im 5. Jahrzehnt seines Daseins in der Wörthstraße machen sich die Spuren der Zeit im Schulgebäude bemerkbar. Die beiden Schulgebäude, die unsere Schule am längsten bezogen hatte, den Bechtoldsbau und das Exerzierplatzgebäude, hatte man spätestens nach ca. 50 Jahren verlassen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entscheidet man sich für eine Generalsanierung. Aulaerneuerung, Neuanlage von Schulhof und Sportplatz sind die ersten Schritte. Turnhalle, zentrale Toilettenanlage, Mensa, Brandschutzmaßnahmen folgen derzeit und bilden den besonderen Baustellencharme des heutigen Ambientes.
M. Zinßius