Eine Studienreise der Oberstufe in das Land der Olivenhaine und Zypressen
Vor etwa 3000 Jahren hat Homer in seinem Epos „Odyssee“ die abenteuerliche zehnjährige Heimfahrt des Odysseus nach der Eroberung Trojas erzählt. Rund 1000 Jahre später, um 180 n. Chr., verfasste Pausanias, Grieche aus Kleinasien, seinen Reisebericht über Griechenland. 20 Jahre lang reiste er durch das Land, um alles kennen zu lernen. Klar – man braucht eben Zeit, um die antiken Kulturgüter und die verschiedenen Landschaften zu erkunden.
Nicht nur, weil wir am Kant-Gymnasium alte Sprachen im Fächerkanon führen und diese Kulturen theoretisch erleben, sondern gerade weil eine Begegnung mit Griechenland auch immer eine persönliche Begegnung mit seinen Menschen bedeutet, die sich ihren Gästen warmherzig, hilfsbereit und gastfreundlich mit dem Willkommensgruß „Kalós orísate“ zuwenden, führen wir jedes Jahr mit der MSS 12 eine Studienfahrt nach Griechenland durch. Von Frankfurt geht es per Flug nach Athen, mit dem Reisebus weiter auf den Peloponnes, dorthin, wo das Interesse der Urlauber deutlich geringer ist und Griechenland noch wesentlich authentischer ist als auf den Inseln.
Ziel unserer Reise ist Tolo, ein kleiner Badeort in der Nähe von Nauplion am Argolischen Golf. Von hier aus lassen sich bequem die wichtigsten und schönsten kulturhistorischen Regionen des Peloponnes erkunden. Nauplia, die einstige Hauptstadt Griechenlands unter der Bavarokratie, ist eine der schönsten Städte auf dem Peloponnes und lässt auch heute noch den Glanz von damals erahnen. Unsere Reise führt uns nach Tiryns und in das sagenumwobene Mykene, dem Schauplatz der Tragödien des Aischylos und des Sophokles. Mit den Ausgrabungen dort erbrachte Heinrich Schliemann den Beweis, dass die Epen des Homer auf einem wahren Kern beruhen. Das antike Korinth war in der Antike die bedeutendste Handelsstadt Griechenlands, das mittelalterliche Akrokorinth führt uns in die Zeit der Venezianer, Franken und die türkische Besatzung.
Epidaurus, das antike Theater im Heiligtum des Asklepius, ist das weltweit besterhaltene Theater der Antike und wegen seiner hervorragenden Akustik weltberühmt. Ein sich immer lohnendes Ausflugsziel ist auch die byzantinische Ruinenstadt Mistra in der Nähe von Sparta. Mit dem Namen von Nemea im Nordwesten der Argolis verbinden sich der Mythos der Erlegung des nemeischen Löwen durch Herakles und die daraus entstandenen nemeischen Spiele. Obligatorisch ist unsere Wanderung auf die Palamidi-Festung von Nauplia, von der aus man einen wunderschönen Ausblick auf den Argolischen Golf genießt. Natürlich steht Athen mit seinen geschichtsträchtigen Bauwerken und dem 2009 neu eröffneten Akropolismuseum bei allen Kulturreisenden ganz oben auf der Liste.
Neben der Erkundung der Antike und von Flora und Fauna darf natürlich ein „Kali órexi und Yámas“ – „Guten Appetit und zum Wohl“ nicht fehlen. Fruchtbarer Boden und günstiges Klima schaffen die besten Voraussetzungen für gesunde und schmackhafte Produkte. Die griechische Tafel ist reich gedeckt und auch unsere kulinarische Reise kann beginnen. Gerade auf dem Peloponnes ist es uns noch gestattet, zum Aussuchen der Speisen in die Küche zu gehen und direkt in die Kochtöpfe zu schauen. Wohlgerüche aus den zahlreichen Backstuben, die verschiedensten griechischen Gewürze, vor allem die mit Olivenöl zubereiteten Speisen und die bereits von den Schriftstellern und Dichtern der Antike gepriesenen griechischen Weine gehören unweigerlich zum Flair unserer Reise, die wir auch nächstes Jahr wieder durchführen.
P. Seufert
Für den Bildungswert des Griechischunterrichts gilt vieles, was auch für den des Lateinunterrichts gilt. Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede. Zahlreiche Konzepte der europäischen Geistesgeschichte wurden von Denkern der griechischen Antike formuliert.
Sicherlich war es den Römern als Leistung anzurechnen, sich mit der griechischen Kunst, Kultur und Literatur zu befassen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse der Nachwelt zu tradieren. Bei einer Vorlage von fast 700 000 Bänden griechischer Literatur vor der Zerstörung der Bibliothek von Alexandria im Jahre 48 v.Chr. konnte selbst ein Römer nicht daran vorbei gehen.
Die Römer, gerne auch als die „ersten Humanisten“ bezeichnet, hatten erkannt, dass die griechischen Autoren sich immer wieder als Menschen erwiesen, die sich mehr als andere mit den Grundfragen des Lebens beschäftigten: Was ist das Gute? Was ist das Glück? Wo sind die Grenzen menschlichen Handelns? Und dies gilt für uns heute ebenso. Ein Hauptmerkmal der griechischen Literatur ist, Fragen und Problemstellungen so zu formulieren, dass sie gerade junge Menschen leicht auf ihr eigenes Leben und ihre eigene Zeit beziehen können.
Die griechische Literaturgeschichte beginnt Mitte des 8. Jahrhunderts bei Homer, der selbst in einer Zeit gewaltiger Umbrüche lebt, der an bestimmte Aspekte einer großen Vergangenheit, der Blütezeit der mykenischen Palastkultur erinnert, und zwar mit einer jahrhundertelang in Form mündlicher Dichtung tradierten und daher in vielen Punkten zu seiner eigenen Zeit bereits überholten Sprache. Mit Hilfe einer von den Phönikiern übernommenen und an das Griechische adaptierten Schrift gelingt ihm die Komposition der Ilias, die nicht nur den Beginn, sondern schon den ersten Höhepunkt der griechischen Literatur darstellt.
Das Weltbild Homers war von Beginn an Gegenstand von Auseinandersetzungen. So ist vieles, was in den folgenden Jahrhunderten entstand, Folge von Kritik an Homer oder von Verteidigung Homers. Selbst Cicero muss sich oftmals rechtfertigen, warum er bei seinen Ausführungen lateinische und nicht griechische Termini verwendet, wo doch das Griechische schon lange Weltsprache geworden war und im Osten des Reiches bis ins 15. Jahrhundert auch geblieben ist.
Wer heute die griechische Sprache lernt, begibt sich unmittelbar zu den Wurzeln dessen, was uns aus unserer Umwelt so selbstverständlich geworden ist.
P. Seufert